In PARIS EST UNE FÊTE schreibt Hemingway: „Mit Paris schließt man niemals ab und die Erinnerung, die diejenigen, die dort lebten, im Herzen behalten, unterscheiden sich vom einen zum anderen. Wir sind immer zurückgekehrt, egal wer wir waren. Paris war es immer wert und was man der Stadt auch gab, sie gab es zurück.“
Ob Hemingway damals wusste, dass seine Worte knapp 50 Jahre später noch immer der Wahrheit entsprechen würden? Mein Auslandssemester in Paris ist nun schon etwas her und beim Betrachten von Van Goghs „Paris Veduten“ verspüre ich ein Ziehen im Bauch – aus Glück, dort gelebt zu haben und aus Melancholie, weil es mir fehlt.
Was hat mir diese Stadt also gegeben? Welche Erinnerungen machen Paris für mich zu meinem persönlichen Wintermärchen? Der Platz reicht nicht aus, um von allen Erfahrungen zu berichten, aber ich möchte dir einige typische und auch untypische Paris-Geschichten erzählen, für deinen eigenen, unvergleichbaren Städte-Trip.
Französische Küche – manchmal sollte man doch der Schlange folgen
Sie werden in jedem Stadtführer stehen, sind auf allen klassischen schwarz-weiß Fotografien zu sehen, und werden in allen Berichten erwähnt… Und so möchte auch ich die kleinen Pariser Cafés, die an allen Straßenecken und Gehwegen das Stadtbild zieren, nicht auslassen. Paris wäre ohne seine Cafés nicht Paris – ohne die Menschen, die mit Zeitung, Sonnenbrille, Zigarette und schwarzem Kaffee bei jedem Wetter draußen sitzen, sich selbst genügen und interessiert das Treiben in den Straßen verfolgen. Aber Paris wäre insbesondere ohne die kulinarischen, französischen Highlights nicht Paris. Und mit ein paar Hinweisen ist es zum Glück nicht nötig, horrende Preise für ein mittelklassiges Touristenmenu auszugeben.
Besonders hervorheben möchte ich die Rue Mouffetard, eine der ältesten Straßen in Paris und doch nach meinen Erfahrungen auch voller jungen, studentischen Lebens. Hier reihen sich die Crêperien aneinander, die den Besuchern – mehr oder weniger gute – französische Spezialitäten verkaufen möchten. Die Schlange bei Au p’tit grec (Metrostation: Place Monge) sieht man schon von Weitem. Entgegen der üblichen, süßen Cafés oder Ständchen ist dieser Laden nicht sehr ansprechend eingerichtet. Die vielen Pflanzen an den Wänden sind wohl eher aus Plastik, doch die Crêpes sind das Warten wert! Für 6€ bekommt man dort eine Portion, die satt macht und individuell zubereitet werden kann. Es lohnt sich tatsächlich, einmal in der Masse mitzuschwimmen und einen echten französischen Crêpe zu testen.
Montmartre – Weinbauern oder doch eher Künstler?
Dass die Franzosen echte Weinspezialisten sind, ist bekannt. Aber dass sogar in der Metropole Wein angebaut wird, hat zumindest mich doch sehr überrascht.
Bei einem Sonntagsspaziergang durch die Gässchen des Montmartre unweit der Sacre-Coeur stieß ich plötzlich auf ein kahles Winter-Feld. Fast lächerlich wirkte die kleine Fläche, war ich doch die Weinberge der hessischen Bergstraße und lange Weinwanderungen gewöhnt. Der Hang hatte zudem Nordlage. Ob das die besten Bedingungen für eine gelungene Weinernte sind?
Das Fête des Vendanges, das jährlich im Oktober stattfindet, scheint zumindest von dem Ergebnis überzeugt. Am Fuße der Sacre-Coeur werden Zelte bis zum Place du Tertre aufgebaut, zwischen denen sich die Pariser tummeln und drängen, um den Weinbau ihres Künstlerviertels üppig zu feiern. An den Ständen werden nicht einfach nur Brat- oder Currywurst verkauft. Nein, die Franzosen bieten zu Ihrem Wein Austern, feinen Käse oder teure Salami an. Auch wenn ich dem Wein noch immer kritisch gegenüberstehe, zumindest mit der Küche haben die Franzosen mich bei diesem Fest erneut überzeugt und das Erntefest mit abschließendem Feuerwerk war definitiv seinen Besuch wert.
Der Wein aber – Stadtluft, sonnenloser Nordhang, viel zu kleines Feld – ließ mich nicht los. Selbst als Nicht-Weinkenner (und der bin ich leider auch nach einem halben Jahr Frankreich) erschienen mir die Reifebedingungen des gefeierten Großstadt-Weines sehr unvorteilhaft. Also fragte ich einen Pariser danach und bekam nur ein Lachen als Antwort. Das sagt, denke ich, schon alles. Das Testen überließ ich also lieber Touristen, die dem Mythos des Großstadtweines verfallen sind…
Das Montmartre ist aber nicht nur für seinen Wein bekannt, sondern natürlich seit Jahrzehnten das Künstlerviertel der Metropole. Ob Van Gogh, der Impressionist Renoir oder sein Sohn der Filmemacher – sie alle lebten und arbeiteten im Montmartre. Das Arrondissement im Norden der Großstadt lädt mit seinen kleinen verwinkelten, kopfsteingepflasterten Gässchen zum Tagträumen und Schlendern ein. Je tiefer man sich vorwagt, desto weniger Touristen durchforsten die Straßen und desto eindrücklicher werden die verwinkelten Passagen und steilen Treppen. Man fühlt sich entrückt vom restlichen Großstadtleben, kommt an urigen Cafés vorbei und passiert verschiedene Kunstgalerien oder Malschulen. Montmartre ist ein eigenes kleines Wunderland, in dem man Tage verbringen kann und noch immer Neues entdeckt.
Ich möchte dir dazu die Geschichte von einem Parfumhändler erzählen, den ich kurz vor Weihnachten traf. Obwohl ich auf dem Weg zur Arbeit regelmäßig an seinem Geschäft La belle du jour vorbeikam, fiel es mir bis zum besagten Tag bei meinen Weihnachtseinkäufen nicht besonders auf. Als ich es endlich betrat, empfing mich eine ganz eigene Atmosphäre, als wäre ich Jahrzehnte in die Vergangenheit gereist. Die Wände waren von alten Film- und Theaterplakaten geschmückt und die Regale vollgestopft. Fast der gesamte Laden war mit Tischen vollgestellt, auf denen sich Parfumflacons aufreihten. Die Preisschildchen waren noch handgeschrieben, fast jeder Flacon ein Unikat. Als ich mir meinen Weg zwischen den Tischen hindurch bahnte, hatte ich Angst, die filigranen Glasfläschchen von Ihren Plätzen zu fegen. Ich war fasziniert von ihrer Schönheit. Als ich an der Kasse meinen gewünschten Flacon zahlen wollte, grüßte mich der ‚Ur-Pariser’, wie er mir stolz erzählte, mit einem warmen, herzlichen „Bonjour Ma Belle“. Ich kam mir wirklich vor, wie in einem Film der 80er. Nach einem kleinen Gespräch verabschiedete er mich ebenso herzlich: „Au revoir, Mélanie!“ – den Namen hatte er sich von meiner Kreditkarte gemerkt.
Wenn das Montmartre also auch nicht mit seiner Weinkultur punkten kann, erwartet es seine Besucher warm, herzlich und mit einem eigenen Charme. Ich kann dir also nur empfehlen, dich treiben zu lassen und dort auf Entdeckungsreise zu gehen. Wer weiß, welchen Parfumhändler, welche Galerie oder welchen Bäcker du entdeckst?
Das 13. Arrondissement – Street Art statt Louvre
Zu Beginn habe ich versprochen, auch untypische Plätze zu empfehlen, die nicht in jedem Reiseführer zu finden sind. Montmartre und Rue Mouffetard sind dies offensichtlich nicht, das 13. Arrondissement aber umso mehr. Die üblichen Pariser Altbauten mit den kleinen Schornsteinen weichen hier hässlichem Großstadt-Plattenbau.
Der Bürgermeister des 13. Arrondissements Jérôme Coumet, erklärte, dass der Bezirk häufig als außenstehend betrachtet wird. Diesen Eindruck möchte er ändern und dem Viertel zu internationaler Bekanntheit und Anerkennung verhelfen. Gemeinsam mit der Galérie Ittérance hat er deshalb den Parcours Street Art 13 ins Leben gerufen, der eine Kunstgalerie unter freiem Himmel verspricht. Denn wer sagt, dass Kunst in Paris immer nur die alten Meister beinhaltet?
Im 13. Arrondissement erhalten professionelle, internationale Straßenkünstler die Genehmigung, riesige Häuserfassaden mit Ihren Werken zu zieren und das Stadtbild aufzuhübschen. Routen kann man sich herunterladen und so seine ganz persönliche Museumsführung gestalten, auf einem Markt pausieren oder im nahen China-Town zu Mittag einkehren.
Ich war überwältigt von den riesigen, bunten Häuserfassaden. Graffiti kannte ich nur als ärgerliche Sprayerei, diese Werke hingegen waren aufwendig geplant und durchgeführt, vor Allem aber vielfältig. Keine Fassade ähnelte einer anderen, vielmehr ergänzten sie sich perfekt zu einem Distrikt.
Besonders aufgefallen ist mir das Kunstwerk Zag&Sia’s Die Freiheit führt das Volk. Als Anamorphosewerk ist das Graffiti nur am Fuße der Treppenstufen zu erkennen und zieht den Betrachter augenblicklich in den Bann. Das Originalwerk von Delacroix ist im Louvre zu sehen, im 13. Arrondissement scheint das alte Gemälde zu neuem Leben zu erwachen.
Ich traute mich erst nicht, die Treppenstufen zu erklimmen, so eindrücklich ist das Kunstwerk. Anderen Passanten ging es ähnlich. Staunend standen wir am Fuße der Treppen, unsicher, ob wir nicht einen anderen Weg nehmen sollten. Als nach einiger Zeit andere Fußgänger nichtsahnend die Stufen herabgestiegen waren, wagte auch ich den Versuch. Oben angekommen blickte ich zurück. Von dem Gemälde war plötzlich nichts mehr zu erahnen.
Und ebenso nichtsahnend wie am Rande dieser Treppe fahre ich dieses Jahr wieder nach Paris. Denn, wie Hemingway sagte, „unsere Erfahrungen unterscheiden sich“ – dann wird mein Pariser Wintermärchen zu einem neuen Sommermärchen.
Über die Gastautorin
Melanie studiert Medienmanagement an der Universität zu Köln und wird wahrscheinlich für ihren Master nach Frankreich zurückkehren. Sie hat bereits für die Kölnische Rundschau geschrieben und für das Pariser Studio des ZDF recherchiert. Auf ihrem Instagram-Account findest du weitere Impressionen von Paris.
Wieder ein wunderschöner Beitrag. Danke dafür :)