Was macht man am nächsten Tag, wenn man vom fünfstündigen Höhlenklettern Muskelkater hat? Genau, natürlich noch mehr Sport!
Die Stadt Taupo ist von Rotorua nur eine Stunde entfernt und für ihren riesigen gleichnamigen See bekannt. Ich komme morgens dort an und nehme mir vor, für 30 NZ$ im Hostel ein Mountainbike auszuleihen und am See entlangzufahren. Da Mountainbiking in Neuseeland eine beliebte Freizeitbeschäftigung ist, kann das schließlich nicht so schwer sein, oder?
Als mir die Hostelmitarbeiterin das Rad übergibt, erklärt sie mir, dass Lake Taupo einen Umfang von 193 Kilometern hat, also ungefähr so groß wie die Metropole Singapur ist. Den größten See der Südhalbkugel möchte ich dann doch nicht an einem Tag umrunden müssen, also beschränke ich mich auf einen kleinen Abschnitt und bewundere die Berge im Hintergrund des Sees.
Es fühlt sich ein wenig merkwürdig an, diesen gewaltigen Vulkansee aus der Nähe zu sehen. Er hat Neuseelands Landschaft mitgestaltet, denn bei seinem Ausbruch vor rund 26.500 Jahren bedeckte er die Nordinsel meterhoch mit Asche und machte sie auf diese Weise fruchtbar. Diese Bedeutsamkeit lässt das glitzernde Wasser nur noch erahnen.
Nach einem Kilometer drehe ich wieder um und fahre in Richtung Norden des Sees. Laut der Faltkarte, die mir mitgegeben wurde, fließt das Wasser dort ab und bildet einen Fluss, der die Huka Falls hinabstürzt. Einen Wasserfall will ich mir natürlich nicht entgehen lassen und entscheide mich, den Mountainbiking Trail zu den Huka Falls auszuprobieren.
Eine Entscheidung, die ich später bitter bereuen werde.
Schon der Beginn meines kleinen Abenteuers gestaltet sich als schwierig. Liebe Neuseeländer, Wegweiser sind eine sehr hilfreiche Erfindung und werden weltweit verwendet!
Ich kann den Trail einfach nicht finden und habe das Gefühl, dass er sich vor mir versteckt.
Das hätte eigentlich ein Wink mit dem Zaunpfahl sein müssen, die Sache zu lassen und meine Mountainbike-Ambitionen schnell wieder zu vergessen. Doch so leicht gebe ich nicht auf und vor allem will ich für meine teuren 30 NZ$ auch etwas erleben. Also kämpfe ich mich eine Stunde lang bergauf durch die Stadt, bis ich endlich den Spa Thermal Park und den Startpunkt des Trails erreiche.
Wenigstens lerne ich die Stadt während meiner Irrfahrt etwas besser kennen.
Der Park erstreckt sich vor mir und in der Ferne kann ich bereits den Fluss glitzern sehen. Es wäre doch gelacht, wenn ich diesen Wasserfall nicht auf eigene Faust finden würde.
Es schleicht sich bloß ein besorgter Gedanke ein: Morgens war es noch sehr bewölkt und frisch, aber mittlerweile brennt die Sonne auf mich herab. Ich verfluche meine warmen Jeans, die ich Mountainbiking-Neuling morgens völlig ohne nachzudenken angezogen habe. Aber jetzt noch einmal umzukehren kommt überhaupt nicht in Frage. Dafür bin ich schon zu weit gekommen.
Eine weitere Entscheidung, die ich später bereuen werde.
Die Strecke bis zu den Wasserfällen erscheint mir auf der Karte nicht so unglaublich weit. Bereits etwas erschöpft, aber zufrieden mache ich mich auf den Weg. Die Karte hat mir allerdings boshaft verschwiegen, dass es andauernd steil bergab und meistens noch steiler bergauf geht. Na gut, das ist möglicherweise die Kernidee des Mountainbikings und ein bisschen Herausforderung ist auch ganz nett. Aber, dass die Strecke fast nur aus Kurven besteht, weshalb ich langsamer vorwärts komme als geplant, hatte ich nicht unbedingt bedacht, auch wenn ich die für Neuseeland typischen unzähligen Kurven eigentlich hätte erwarten können. Wie man einen Mountainbikingtrail so derart verbiegen kann ist mir ein Rätsel.
Ich fahre auf halb zugewachsenen Pfaden neben dem Waikato Fluss entlang, unter umgefallenen Bäumen hindurch und an moosbewachsenen Felsen vorbei. „Wie gut, dass ich keine Pflanzenphobie habe”, schießt es mir durch den Kopf, als ich mehr oder weniger erfolgreich diversen Ästen ausweiche.
Immer wieder rase ich den Pfad hinab, nur um mich anschließend wieder steile Anhöhen hochzuquälen.
Ich fühle mich ziemlich abenteuerlich. Nach jeder Kurve sieht die Gegend anders aus und immer glitzert der Fluss durch die Bäume hervor. Dieser Anblick spornt mich an. Motiviert trete ich in die Pedale und lockere zufrieden meine Muskeln, die eindeutig zu viele Busfahrten ertragen mussten!
Nach zwei Stunden wird das Dröhnen des Wasserfalls langsam lauter. Der Fluss nimmt an Fahrt auf und strömt reißerisch an mir vorbei. Als ich um die nächste Ecke biege, stehe ich plötzlich direkt neben dem Wasserfall. Vor Überraschung falle ich fast vom Rad und blicke ungläubig auf die Menge an Touristen, die sich am Aussichtspunkt tummelt. Unterwegs bin ich keiner Menschenseele begegnet und hier erfahre ich, dass es nur einige wenige Hundert Meter entfernt einen Parkplatz gibt. Leb wohl, ruhige Einsamkeit.
„250.000 Liter Wasser fließen pro Sekunde durch einen Spalt und stürzen 11 Meter in die Tiefe”, höre ich einen Tourist aus seinem Reiseführer vorlesen und starre auf die Wassermassen. Die Zahl klingt beeindruckend, doch mich beschleicht der nagende Unmut, dass ich mich für diesen einzigen Blick stundenlang gequält habe, während die Touristen bloß 15 Minuten mit dem Auto fahren mussten. Wenn der Weg wirklich das Ziel ist, wie man so schön sagt, dann ist es ein sehr sadistischer Weg.
Der Stillstand tut mir nicht gut, denn mir fehlt der Fahrtwind und die Sonne brennt sich noch stärker durch meine Haut. Ich nehme endlich den Helm ab, der auf diesen halsbrecherischen Pfaden leider notwendig ist, und genieße den feinen Sprühnebel, der über den Pfad wabert. Die mitgebrachten Sandwiches sind schnell verdrückt und ich laufe ein weiteres Mal am Rand des Wasserfalls entlang. Insgeheim will ich wohl den beschwerlichen Rückweg noch ein wenig hinauszögern.
Diesmal entdecke ich einen Wegweiser und auf einem anderen Pfad geht es durch das Hinterland zurück in Richtung Stadt. Dieser Pfad ist entweder noch viel unwegsamer und steiler als der Hinweg oder ich habe bereits einen Sonnenstich. Der Pfad ist so schmal, steil und unwegsam, dass selbst das Bergabfahren zu purer Anstrengung mutiert und ich das Mountainbike vor Müdigkeit bergauf bloß noch schieben kann. Meine Hände sind vom ständigen Bremsen ganz verkrampft, alle Muskeln schmerzen und ich spüre, wie die Sonne genüsslich meine Haut verbrennt. Fast kann ich das Brutzeln hören und riechen. Wenn ich so weitermache, löse ich noch einen Waldbrand aus!
Noch viel schlimmer ist jedoch, dass mir das Wasser schon vor Stunden ausgegangen ist und ich trotz der schwülen 30°C nicht einmal mehr schwitze. Mein Blut scheint langsamer zu fließen und das Denken fällt mir schwer. Schließlich blende ich meine erschöpften Gedanken komplett aus und verliere völlig das Zeitgefühl. Ein monotoner Rhythmus spielt sich ein: bergab bremsen, rollen, bremsen, absteigen und dabei fast vom Mountainbike fallen, stolpern, schieben und oben angekommen wieder mühsam aufsteigen.
Nicht zu wissen, wie viele Kilometer noch vor mir liegen, treibt mich fast in den Wahnsinn. Die Tatsache, dass ich keiner anderen Menschenseele begegne, beruhigt mich auch nicht unbedingt und in Gedanken sehe ich mich noch im Dunkeln einsam, verdurstend und todmüde durch die Gegend stolpern.
Nach insgesamt vier Stunden komme ich endlich am Eingang des Spa Thermal Parks an und springe begeistert mitsamt Klamotten in den Fluss. Nein, ich bin nicht völlig verrückt geworden: An dieser Stelle trifft heißes Quellwasser auf kaltes Flusswasser und kreiert ein wunderbares Planschbecken, was meine Muskeln und meine Haut mit einem dankbaren Zischen quittieren. Ich bin mir absolut sicher, dass ich die Haut Dampfen sehen kann.
Auf dem Rückweg durch die Stadt geht es endlich bergab und ich kann es nicht fassen, als ich nach kurzer Zeit den Supermarkt erreiche. Mit letzter Kraft schließe ich das Rad ab und schleppe mich in den willkommenen Schatten. Die Leute mustern mich erstaunt, als ich direkt hinter der Kasse wie eine Verrückte einen Liter Orangensaft in mich hineinschütte. Endlich fühle ich mich wieder wie ein Mensch und kaufe mir als Reiseproviant noch ein leckeres TipTop-Eis. Ich habe wahrscheinlich in meinem ganzen Leben noch kein besseres Eis gegessen.
Ich muss mich regelrecht zwingen, ein letztes Mal auf das Rad zu steigen und die finalen Kilometer bis zum Hostel hinter mich zu bringen. Kaum habe ich das Rad abgegeben, fängt es an zu schütten und die Sonne geht langsam unter. Vielleicht war mein Ausflug in die Welt des Mountainbikings doch nicht ganz so schrecklich wie gedacht. Ein schlammiger, überfluteter Weg ist mit Sicherheit noch eine Nummer unangenehmer.
Oder ist das ein Zeichen? Ist das die Art des Universums mir mitzuteilen, dass ich nicht fürs Mountainbiking gemacht bin? Eigentlich hatte ich sogar sehr viel Glück, stelle ich fest, als ich mich mit den anderen Backpackern in meinem Zimmer unterhalte, die alle schon einmal beim Mointainbiken gestürzt sind. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass ich nicht beabsichtige, mich in naher Zukunft wieder auf ein Mountainbike zu schwingen.
PS: Da mein Gehirn dazu neigt, anstrengende Reiseerlebnisse zu verdrängen, werde ich während meines nächsten Neuseelandbesuchs wahrscheinlich von Taupo aus ein weiteres erschöpfendes Abenteuer unternehmen und den Tongariro Crossing hiken. Man kommt von hier aus mit Bussen relativ leicht zum Tongariro National Park, wo man diese sehr beliebte Tageswanderung (19,4 km!) mit unglaublichen Ausblicken (Mt Ruapehu, Mt Tongariro) machen kann. Ich sage nur „Mordor“.
Ohje……Glück gehabt….also das nächste Mal viel zu Trinken mitnehmen…..
und…..40 KM ist sehr, sehr, sehr weit zu laufen und das bergauf…..
aber man kann ja vorher dafür trainieren…..ich biete mich als Wanderungspartner an! :-)
Hab mich vertan. Es sind “bloß” 20 Kilometer. Okay, da kommst du jetzt nicht mehr raus, ich hab Zeugen ;)