Meine abenteuerliche Gletscherwanderung auf dem Franz Josef Glacier in Neuseeland
Wenn ich die Augen schließe und dem Tschak-Tschak-Tschak der Rotorblätter lausche, fühle ich mich wie am Movieset eines Endzeitfilms.
Doch das einzige zurückbleibende Geräusch, als der Helikopter langsam ins Tal hinunterfliegt und mich auf dem Gletscher sitzend zurücklässt, ist das mysteriöse Knarzen des Eises unter mir. Gelegentlich ist ein Steinschlag zu hören, was laut meinem Tourguide Matthew normal für diese Jahreszeit ist. Es ist sehr friedlich, aber auch unheimlich. Eissäulen türmen sich über mir auf und kleine Wasserbäche gluckern an mir vorbei, bis sie in endlos tiefen Löchern im Eis verschwinden. Die Eisschmelze im Sommer hat einige schwarze Felsen in der Mitte des Gletschers hervorgezaubert, die bedrohlich über den blau schimmernden Eisspalten aufragen.
Mein Gletscherabenteuer beginnt im Morgengrauen. Ich laufe durch den verschlafenen Ort Franz Josef, der am Fuße des gleichnamigen Gletschers liegt und nur aus Motels, Restaurants und einem winzigen Supermarkt besteht. Sollte der Gletscher irgendwann nicht mehr existieren, dann wird hieraus ein Geisterdorf, denn er ist die einzige Attraktion und der einzige „Arbeitgeber“ weit und breit.
Im Hauptgebäude der „Franz Josef Glacier Guides“ angekommen treffe ich die anderen Mitglieder meiner Tourgruppe. Ihre Gesichter spiegeln meine Aufregung und Ungeduld wider.
Alle fünf Minuten betrachten wir mit gerunzelter Stirn die Wolken, die an den Seiten des Gletschers entlangwabern. Wolken – das einzige Phänomen, das Helikopter nicht vertragen. Mir wurde daher geraten, die Tour am frühen Morgen zu buchen und mehrere Tage einzuplanen, weil die Helicopter Hikes oftmals wetterbedingt abgesagt werden müssen. Wenn die Sonne den ganzen Tag auf den Gletscher scheint oder das Eis durch warmen Regen aufgeweicht wird, ist eine Wanderung auf dem Gletscher natürlich nicht ganz ungefährlich. Doch Matthew begrüßt uns mit allerbester Laune und versichert uns, dass die Bedingungen ideal seien.
Der Flug
Der erste Programmpunkt unseres Abenteuers ist praktischer Natur. Wir werden mit Gletscherausrüstung versorgt. „Mit den knallblauen Winterjacken und Hosen geht ihr mir auf dem Eis nicht verloren“, scherzt Matthew. Mützen, Handschuhe und Stiefel gibt es natürlich auch und wir verstauen unsere Steigeisen in kleinen Schultertaschen. Ein asiatischer Tourist versucht mühsam, seinen überdimensionalen Fotoapparat mit hinein zu quetschen und ich bin froh, dass ich meinen kleinen Drybag dabei habe. Meine Kamera soll nicht unbedingt Bekanntschaft mit den Nägeln der Steigeisen machen.
Fertig ausgerüstet marschieren wir zum verkehrsreichsten Hubschrauberlandeplatz Neuseelands. „Es gibt nur ein Hubschrauberunternehmen, das hier fliegen darf, weshalb die Piloten sehr gefragt sind und pro Flugminute abgerechnet wird“, erzählt Matthew. „Das macht die ganze Tour leider etwas teuer“, räumt er ein, „aber in ein paar Wochen habt ihr den Preis bestimmt vergessen und erinnert euch bloß an unser heutiges Abenteuer.“ Mein schlechtes Gewissen hebt missbilligend eine Augenbraue, aber ich ignoriere es.
Der Helikopter ist bereits startklar und wir bekommen noch eine kurze Sicherheitseinweisung bevor es losgeht: „Wenn ihr nicht geköpft werden wollt und Verbrennungen vermeiden möchtet, dann tretet nur von vorne an den Helikopter heran!“
Die Wucht der Rotorblätter bläst uns fast um und Matthews leicht beunruhigende Worte klingen uns in den Ohren. Extrem geduckt rennen wir zum Helikopter und wagen es nicht, in Richtung Rotorblätter zu blicken, während wir tollpatschig ins Innere klettern. Hastig schnalle ich mich an und setze das Headset auf, um den Lärm etwas zu dämpfen und den Piloten hören zu können.
Mein Puls rast und ich kann nicht anders, als aufgeregt zu Grinsen. Ich fühle mich wie in einem Videospiel. Mit dem Unterschied, dass ich leider nicht mehrere Leben haben.
Vor lauter Adrenalin vergesse ich zu fragen, wie schnell der Helikopter fliegen kann. Vom Boden aus haben Helikopter bisher eher langsam auf mich gewirkt, doch das ist eine gewaltige Täuschung. Ohne Vorwarnung heben wir ab und ich bekomme einen Miniherzinfarkt. Der Helikopter neigt sich so weit nach vorne, dass ich vom Sitz fallen würde, wenn ich nicht angeschnallt wäre.
Wir sausen über Bäume hinweg, an Felswänden entlang und kleinen Wasserfällen vorbei, bis der Gletscher vor uns aufragt. Was für ein majestätischer Anblick. Das Eis wirkt zwischen den Bergen, die mit Beach Trees und Palmen bedeckt sind, so fehl am Platz wie ein Eisbär in der Sauna.
Das Headset knackt. Gespannt lausche ich den Erklärungen des Piloten: “Der Gletscher war früher sehr gut zu Fuß zu erreichen, aber mit der Zeit haben sich drei große Eisfälle gebildet, die den Aufstieg unmöglich machen.“ Wenn man sich dieses Naturkunstwerk aus der Nähe ansehen will, muss man also zwangsweise einen Helikopterflug buchen. Mein schlechtes Gewissen verstummt.
Der Helikopter neigt sich zur Seite und rast haarscharf an den Felswänden entlang bis wir den oberen Rand des Gletschers erreichen und einen atemberaubenden Blick auf die zackigen Eistürme werfen können. Wie ein gefrorener Fluss windet sich der Gletscher durch die Landschaft.
Wir fliegen wieder ein Stück talabwärts und kommen mit rasender Geschwindigkeit einer flachen Eisfläche näher. Bevor wir uns versehen, stehen wir auch schon wackelig auf dem Eis. „Bewegt euch nicht und bleibt einfach stehen“, brüllt Matthew in den Wind. Das ist leichter gesagt als getan. Der Helikopter hebt wieder ab und pustet uns dabei fast um, während wir uns wie eine Gruppe Pinguine aneinanderklammern.
Der mühsame Aufstieg
Langsam verhallt das Dröhnen des Helikopters und ich schaue mit gemischten Gefühlen hinterher. Es ist ein merkwürdig verstörendes Gefühl, mitten auf dem Gletscher zurückgelassen zu werden.
Immer noch aneinandergeklammert schlittern wir hin und her, während wir auf einem Bein stehend versuchen, die Steigeisen über die Stiefel zu schnallen.
Als alle fertig sind strahlen wir schlagartig eine Gelassenheit aus, als würden wir tagtäglich einen Spaziergang auf dem Gletscher wagen. Wir sind bereit, loszuwandern.
„Heute lernt ihr die Kunst des Trampelns, meine Freunde“, verkündet Matthew strahlend. Für den perfekten Halt auf dem glitschigen Eis sollen wir die Nägel der Steigeisen fest in das Eis rammen, als wären wir bedrohliche Sumo-Ringer. Wir trampeln also über Eisspalten und kleine Bäche hinweg – immer auf der Suche nach Eishöhlen – und es ist mir ein Rätsel, warum wir keine Eislawine auslösen.
Das Eis ächzt bedrohlich, während wir hintereinander vorwärts kraxeln und in die Fußstapfen des Vorgängers treten. Alle zehn Minuten gibt uns Matthew die Anweisung zu warten und stakst wie eine Bergziege davon, um den sichersten Pfad ausfindig zu machen. Mit einem Eispickel hackt er an manchen Stellen Löcher in das Eis, damit wir einen besseren Halt haben. Das ist sehr angenehm, denn auf diese Weise haben wir kurze Verschnaufpausen vom anstrengenden Herumklettern.
Als wir Matthew wieder folgen dürfen ist es trotzdem schwierig, herauszufinden, wo wir gefahrlos hintreten können. Ein falscher Schritt in eine Spalte und ich wäre in ziemlichen Schwierigkeiten. So viel nervenaufreibenden Spaß hatte ich schon lange nicht mehr!
Wir überqueren kleine Rinnsale, die über und unter dem Eis zu schweben scheinen. Als ich zurückblicke ist es unmöglich zu erkennen, wo wir langgestapft sind. Das grelle Licht, das von den Eiswänden reflektiert wird, verdeckt unsere Spuren.
Hinein ins Blau
Dann kommt unverhofft die Sonne hinter den Bergen hervor. Der Gletscher erstrahlt, die Zacken werfen Schatten und die Gletscherspalten funkeln in einem leuchtenden Blau. Wir bahnen uns mit knirschenden Schritten den Weg zu einer der verführerischen Eishöhlen, die Matthew entdeckt hat.
„Sie existieren nur ein paar Tage lang, bevor die Sonne ihre Dächer schmilzt und sie zusammenbrechen“, erklärt er, und verschwindet eine Weile im Innern. Mit einem breiten Grinsen taucht er hinter uns wieder auf.
„Unser Gletscher ist etwas Besonderes, denn er reicht bis in den gemäßigten Regenwald des Tals hinab, der für diese Region hier typisch ist“, berichtet Matthew stolz und fügt theatralisch hinzu: „Weltweit gibt es nur drei Gletscher, die sich in einer tropischen Umgebung befinden und ihr dürft heute sogar einen Blick hineinwerfen.“
Die Höhle ist sicher.
Neugierig steige ich hinab an einen Ort, an dem sich das Licht scheinbar nicht an physikalische Gesetze hält und sich in unmöglichen Winkeln bricht. Die Zeit scheint stillzustehen, während ich die Kälte einatme, die das Eis verströmt. Nach dem Hubschrauberlärm und den Trampelschritten auf dem Weg hierhin dröhnt die Stille laut in meinen Ohren. Aus allen Richtungen ist fließendes Wasser zu hören, abes es ist nirgendwo zu sehen. Stattdessen entdecke ich feine Risse in der Decke.
Mir wird schlagartig bewusst, dass ich mich tatsächlich im Inneren des Gletschers befinde. Das Eis knackst und gluckst und reißt mich aus meinen Gedanken. Ich taste mich weiter vorwärts und es wird immer enger. Die Wände schleudern mir das Knirschen meiner Schritte entgegen als ich mich Richtung Ausgang bewege.
Ich quetsche mich geduckt durch einen Spalt im blau schimmernden Eis und die Decke tröpfelt mir ganz hinterhältig in den Nacken. Ich fange das Wasser in meinen Handflächen auf und trinke einen Schluck, denn klareres Wasser werde ich wohl nirgendwo sonst trinken können.
Und dann trete ich wieder hinaus in eine andere Welt, auf diesen knarzenden Gletscher, atme die klare Luft ein, höre den Lärm des tosenden Wasserfalls, der von den Wänden schallt und absorbiere zukünftige Erinnerungen. Die Sonne wärmt langsam mein Gesicht auf. Aber auch mit dem Gletscher macht sie keine Ausnahme. Mit gewaltigem Getöse brechen nur 100 Meter entfernt Eis und Geröll vom Gletscher. Wahrscheinlich war es eine gute Idee, nicht erst auf dem Rückweg eine Höhle zu erkunden, denn dann stünde einem das Wasser bestimmt mindestens bis zu den Knien.
Wir trampeln weiter den Franz Josef Glacier hinauf, um näher an den größten Wasserfall heranzukommen. Doch die zweieinhalb Stunden auf dem Eis sind schon fast um und wir müssen uns auf den Rückweg machen, um unser Lufttaxi nicht zu verpassen. Viel zu bald kommt der Helikopter auch schon angeflogen, um uns einzusammeln. Bevor ich – diesmal etwas geübter – in den Helikopter klettere, blicke ich wehmütig zum Wasserfall. Der Gletscher fühlt sich an wie ein Buch, dem das letzte Kapitel fehlt.
Wieder in der Luft verfolge ich die zurückgelegte Strecke noch einmal mit den Augen. Sie erscheint mir kaum messbar, doch als ich eine andere Gruppe auf dem Eis wandern sehe, wird mir bewusst, dass wir, obwohl wir so lange unterwegs waren, nur einen winzigen Bruchteil des Gletschers erkundet haben.
Während des atemberaubenden Rückflugs breitet sich eine tiefe Zufriedenheit in mir aus und auch die anderen Tourmitglieder lächeln erschöpft. Wir Menschen wirken in der Natur so winzig und doch sind wir nicht unbedeutend, sondern miteinander verbunden. Ich bin dankbar dafür, dass ich diesen naturgewaltigen Gletscher erleben durfte. Ich bin noch dankbarer dafür, etwas zu erleben, was mir viel bedeutet. Ich wollte schon immer in einem Hubschrauber fliegen, und ich wollte schon immer einen Gletscher erkunden und hier bin ich und mache einfach beides. Ich träume nicht nur von tollen Erlebnissen, sondern nehme mir die Zeit, sie Wirklichkeit werden zu lassen. Ich habe mich noch nie so lebendig gefühlt.
Bonus:
Als ich später aus dem Helikopter steige, werden die Anstrengungen des Tages mit einem Schlag spürbar, denn der Boden hat mich umso deutlicher wieder und die Schwerkraft scheint sich verdoppelt zu haben. Mein finaler Programmpunkt des Tages soll meinen schweren Beine etwas entgegen wirken: Im Heli Hike Ticket ist glücklicherweise eine Eintrittskarte für die Hot Pools enthalten, die mit kristallklarem Gletscherwasser gespeist werden, das in mehreren Becken bis auf 40°C aufgeheizt wird. Ich schlummere dort den restlichen Tag und bin abends so erschöpft, dass die 300 Meter zum Hostel nur mühsam zu bewältigen sind. Das war ein fantastischer Tag und Gletscher sind meine neue Lieblingsentdeckung! Das Eis ist einfach verlockend. Es verändert sich so schnell, dass man nie weiß, was man zu sehen bekommen wird. Dann kann ich ja guten Gewissens irgendwann wiederkommen und die Tour ein zweites Mal machen.
Hallo Lisa,
Wie heißt der Anbieter bei dem du gebucht hast und hast du vor Ort gebucht?
Wir sind im Dezember 5 Wochen in Neuseeland und deine Seite ist extrem hilfreich! Danke :-)
Liebe Grüße Sabrina
Hallo Sabrina,
ich habe ein paar Wochen vorher online bei den Franz Josef Glacier Guides gebucht. Die Plätze sind aufgrund der Helikopeter-Flüge immer sehr begrenzt und je nachdem in welcher Saison ihr da seid sehr schnell weg. Die Preise variieren auch ziemlich je nach Saison. Als Alternative könnt ihr übrigens zum Fox Glacier gehen. Dort muss man nicht hochfliegen, sondern kann mit einer Gruppe hoch hiken, was das Ganze natürlich günstiger macht :)
Ich habe übrigens einen Blogpost über die variablen Kosten in Neuseeland geschrieben und dort auch die verschiedenen Anbieter meiner Ausflüge aufgeführt.
Freut mich, dass euch meine Berichte bei der Planung helfen und ich wünsche euch eine wunderschöne Zeit in Neuseeland! :)
Liebe Grüße
Lisa
Hey,
ganz wundervoller Bericht….Lieber Gruss Achim
Vielen lieben Dank!! :-)
COOL!!!! Wortwörtlich!
Obwohl, eigentlich war es ziemlich warm ;-)