Der umgekehrte Kulturschock

Lesezeit: 7 Minuten


Während meiner Weltreise habe ich neue Sachen ausprobiert, neue Menschen getroffen, bin an fantastische Orte gereist und habe spannende Kulturen kennengelernt – und dann war alles vorüber. Leute reden immer über Schwierigkeiten während der Reise, aber was ist eigentlich mit dem Zurückkommen?

Die ersten Tage wieder zuhause sind großartig. Man sieht Familie und Freunde, erzählt Geschichten, schwelgt in Erinnerungen und alles ist aufregend. Doch dann realisiert man, dass eigentlich nichts anders ist, obwohl sich doch alles verändert hat: Die Art wie man Menschen wahrnimmt, wie man träumt und denkt, die neuen Dinge, die einem wichtig sind und das Alte, was keine Rolle mehr spielt. Man möchte diese Gedanken mit allen teilen. Aber wie kommuniziert man diese Erlebnisse, die einen grundlegend verändert haben?

Nach einer langen Reise zurückzukehren fühlt sich an, als hätte man eine fremde Sprache gelernt und niemand versteht sie – niemand versteht, wie man sich fühlt: Wie es war, zu gehen, sich zu verändern, zu wachsen, zu erleben und zu lernen und dann wieder nach Hause zu fliegen.

Das ist das Schwierigste am Reisen. Und das ist der Grund, warum einen das Reisefieber packt – immer auf der Suche nach anderen Reisenden, die die gleiche Sprache sprechen.

In diesem Gastbeitrag beschreibt Birgit auf wunderbare Weise diesen Prozess des umgekehrten Kulturschocks:

Zurück aus Kopenhagen

„Wie knüpft man an, an ein früheres Leben? Wie macht man weiter, wenn man tief im Herzen zu verstehen beginnt, dass man nicht mehr zurück kann?“ ~ Frodo (Der Herr der Ringe)

Na ja, ich bin nicht nach Mordor gereist, um Mittelerde zu retten. Ich habe bloß ein Auslandssemester in Kopenhagen gemacht, aber Frodo drückt genau das aus, was ich fühle, als ich nach sechs Monaten aus dem grandiosen, glitzernden Kopenhagen in das offenbar triste, langweilige Mainz zurückkehre.

Mainz ist ganz anders als die Hauptstadt Dänemarks: Eine kleine Landeshauptstadt am Rhein mit etwas provinziellem Charme, umgeben von Bergen und Weinreben. Steige ich in den Zug, bin ich in vierzig Minuten in der Metropole Frankfurt, doch das Meer ist weit entfernt. Versteht mich nicht falsch – ich lebe gerne in Mainz. Es ist schön, wieder von meiner Muttersprache umgeben zu sein. Aber hin und wieder überrascht es mich, dass ich wirklich wieder in Deutschland bin. Ich denke teilweise immer noch auf Englisch (und manchmal auf Dänisch) und fühle mich wie eine Fremde, wenn ich Deutsch höre.

Die Rückkehr

Birgit am Nytorv-001Wie kehrt man also nach einem halben Jahr – nicht nur physisch, sondern auch mental – nach Hause zurück? Wie soll ich damit klar kommen, dass Kopenhagen, mein früheres „hier“, plötzlich und auf mysteriöse Weise ein fernes, fast schon unwirkliches „dort“ geworden ist?

Meine vormals so vertraute Umgebung verwirrt mich und ich kann mich nur sehr schwer wieder einfinden. Habe ich etwa einen umgekehrten Kulturschock? Deutschland ist doch eigentlich nicht so anders als Dänemark und auf den ersten Blick sind es natürlich keine massiven kulturellen Unterschiede, sondern mehr die kleinen Details, die mir auffallen. Irgendwie kommt es mir vor, als ob alles in Mainz in der Minute stehen geblieben ist, in der ich mich nach Kopenhagen aufgemacht habe, um sich genau in dem Moment wieder in Bewegung zu setzen, als ich zurückkehre. Alles sieht aus wie früher, auch wenn ich weiß, dass es nicht mehr wie früher ist.

Ich sehe meine Freunde wieder und selbst das ist komisch. Lange Zeit waren sie nur ein Wasserfall von Worten im Facebookchat oder ein verzerrtes Gesicht hinter einer Webcam. Einige hatten mich in Kopenhagen besucht. Nun sind sie wieder aus Fleisch und Blut und ich kann im Notfall mitten in der Nacht vor ihrer Haustür stehen. Daneben merke ich, wie sich meine Freunde in Kopenhagen von mir entfernen – im gleichen Maße wie mir meine Dänischkenntnisse entgleiten. Jetzt werden sie zu einem stumm redenden Profilbild auf Facebook. Ich vermisse es, mit ihnen etwas trinken zu gehen und richtig zu reden.

Auf keinen Fall vermisse ich jedoch den Wind, meinen täglichen Feind als Radfahrerin in Kopenhagen. Einer der Mainzer Vorzüge ist das Wetter, das in der Regel besser ist als in Kopenhagen: mehr Sonne, weniger Regen, höhere Temperaturen.

Die Erinnerungen an Kopenhagen

NyhavnIn meinen ersten Wochen in Dänemark ersetzte der Kopenhagener Hafen und die Langebro (eine der Hafenbrücken) den Rhein für mich. Jetzt ist es genau andersherum. Immer, wenn ich über die Rheinbrücke radele, werde ich an Kopenhagen erinnert. Manchmal stelle ich mir sogar vor, nach Amager zu fahren und durch den Stadtteil Christianshavn, auf dieser riesigen Insel am anderen Ende der Kopenhagener Brücke, zu schlendern.

Ich glaube, jedem, der einmal in Kopenhagen gelebt hat, fehlt das Radfahren auf den hochheiligen Radwegen dort. In Mainz ist Radfahren eine einsame Angelegenheit – wenn es bei uns überhaupt Radwege gibt. Natürlich habe ich oft die Hauptverkehrszeit in Kopenhagen verflucht, aber wie konnte ich vergessen, wie viel schlimmer sie auf der engen Rheinbrücke in Mainz ist? Und wenn ich dann plötzlich mit dem Fahrrad anhalten muss, habe ich immer noch den Reflex, meine Hand warnend hochzuheben, wie man es in Dänemark macht.

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Fahrradzähler

An diesen wohlbekannten, doch inzwischen fremd gewordenen Alltag hier in Deutschland muss ich mich erst wieder gewöhnen. Ich bin zwiegespalten. Kopenhagen, mit all seinen Straßen, Gewohnheiten und Leuten, ist wie in mein Gehirn tätowiert. Nun aber legt sich nach und nach eine andere Schicht darüber, während die alte noch hindurchschimmert.

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Was hat sich verändert?

Als nach meiner Rückkehr die Uni wieder beginnt, ist das Fahrradfahren in Mainz zwar immer noch frustrierend, aber ich bemerke eine positive Veränderung… was ist passiert?

Was die Mainzer Uni angeht erwarte ich eigentlich große Unterschiede zu der in Kopenhagen. Mehr Formalitäten, mehr Hierarchien, größere Distanz zwischen Dozenten und Studenten, und eine Ellenbogenmentalität unter den Studenten. So habe ich es in Erinnerung. Doch überraschenderweise sind meine Kommilitonen locker, hilfsbereit und nett und ich habe Kurse mit motivierten Dozenten, die uns Studenten auf Augenhöhe begegnen und ernst nehmen. Fast schon dänische Verhältnisse, denke ich.

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University of Copenhagen (Südcampus)

 

 

Hatte ich solch ein negatives Bild von Deutschland, eine Art umgekehrte Nostalgie? Hat sich hier in einem halben Jahr wirklich etwas verändert oder habe ich doch etwas von der dänischen Mentalität in mein altes neues Leben zurückgebracht? Bin ich es, die sich ein wenig verändert hat? Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus, sagt man. Habe ich in all meinem Fernweh vergessen, dass es hier in Mainz, in Deutschland gar nicht mal so schlecht ist?

Auf einmal bemerke ich viele positive Kleinigkeiten. Verkäufer und Kassierer, die mir ein echtes Lächeln schenken. Essen und Trinken im Café, Supermarkteinkäufe und eine Miete, die meinen Geldbeutel nicht in Tränen ausbrechen lassen. Ausgezeichnetes Bier und köstliche warme Bretzeln. Ein festes Einkommen dank Bafög und Nebenjob, anstatt hauptsächlich von meinen Ersparnissen zu leben. Und nicht zu vergessen, meine Freunde hier. Wie eine Freundin aus Kopenhagen es ausdrückte: Ich habe Freunde, zu denen ich zurückkehren kann. Sie hatte Recht. Trotzdem sehne ich mich immer noch nach Kopenhagen.

Doch was vermisse ich wirklich?

War ich letztendlich nicht von Kopenhagen selbst verzaubert, sondern von den Leuten, die ich dort kennengelernt habe? Mir fehlt meine kleine Schar Freunde dort, aber ich glaube nicht, dass sie der einzige Grund sind, warum ich mich immer noch nach diesem Land und besonders nach Kopenhagen sehne.

Ich glaube, mich zieht einfach das bisweilen einsame Leben einer Fremden an, die in einem Land lebt, das ihr bisher nur vom Urlaub und kurzen Aufenthalten bekannt war. Denn diese Einsamkeit spiegelt genau einen Teil meines Wesens wider. Ich vermisse auch das unsichtbare Band zwischen den Menschen aus aller Welt, die in diesem manchmal etwas rätselhaften Land leben. Doch jenseits dieses romantischen Fernwehs ist es das Land Dänemark, mit all seiner gnadenlosen Gleichheit, seinem fortschrittlichen Denken und den netten, schönen, aber manchmal auch unnahbaren Dänen, nach dem ich mich sehne. Natürlich wäre es etwas anderes, dort „in echt“ zu leben oder, wie einer meiner Kopenhagener Freunde es ausdrückte, nicht wie ein Tourist: Ohne den beruhigenden Gedanken, in wenigen Monaten wieder nach Hause zu gehen.

Aber eigentlich hatte ich nie das typische Erasmus-Erlebnis, obwohl ich sicherlich einigen der Klischees gerecht geworden bin. Mein Freund lag falsch, denn ich habe mich nie wie eine Touristin in Kopenhagen gefühlt. Vielleicht ist genau das der Grund, warum mir meine Rückkehr nach Deutschland so schwer fällt.

Der Ausblick

Vor kurzem bin ich für ein paar Tage nach Kopenhagen zurückgekehrt, um eine Freundin zu besuchen. Ich sehe bekannte Orte und Gesichter. Sie sind mir immer noch wohlvertraut. Auch hier ist es, als wäre ich nie weggewesen, als ob alles in dem Augenblick stehen geblieben wäre, als ich die Stadt verlassen habe – obwohl ich weiß, dass das nicht stimmt.

Doch ja, ich bin zurück.


Über die Gastautorin:

Birgit studiert Buchwissenschaft und Linguistik in Mainz und würde für ihren Master gerne nach Dänemark zurückkehren. Auf ihrem Fotoblog findest du weitere Impressionen von Kopenhagen.


Hast du diesen umgekehrten Kulturschock schon einmal erlebt? Was war das Schwierigste für dich daran, nach einer langen Reise zurückzukehren?

 

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Ein Kommentar

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