Meine Zeit in Neuseeland läuft ab, doch bevor ich Queenstown schweren Herzens verlassen werde, mache ich noch einen Ausflug, der mich ins Hinterland der Südinsel führt. Dafür laufe ich durch die stockfinstere Stadt und stehe um 7 Uhr morgens vor der Tür des Tourveranstalters. Während ich warte schaue ich meine mitgebrachten Frühstücksbrote an und beschließe, dass um diese Uhrzeit getrocknete Bananenscheiben erst einmal ausreichen müssen.
Schwankend steige ich in den Bus und frage mich, wie ich auf die (wortwörtliche) Schnappsidee kommen konnte, die Nacht vorher noch feiern zu gehen! Aber zu diesem tollen Ort mit seinen ungeplanten Möglichkeiten und den tollen Leuten kann man einfach nicht nein sagen! Die Tatsache, dass ich nur drei Stunden geschlafen habe, wird mich jedenfalls nicht davon abhalten, den heutigen Ausflug zu genießen!
Die spektakuläre 46 Kilometer lange Fahrt von Queenstown nach Glenorchy gehört zu den 10 schönsten Strecken der Welt. Und das zu Recht! Wir fahren fast die ganze Zeit am Lake Wakatipu entlang und ich kann mich an diesem Anblick einfach nicht satt sehen. Genau das hier ist der Ort, an dem „Busfahrer“ zu einem Traumberuf wird!
Aber verdammt, Neuseeland ist das Land der kurvigsten Straßen und mein spärliches Frühstück tanzt in meinem Magen mit den betrunkenen Limetten von gestern Nacht Tango. Als wir nach 45 Minuten am anderen Ende des Sees in Glenorchy ankommen steige ich etwas blass aber erleichtert aus dem Bus und atme einmal tief durch.
Entweder wird mir der nächste Programmpunkt den Rest geben oder mir ein bisschen helfen: Es geht zum JETBOATING!
Ich werfe mir einen Regenmantel über, der wahrscheinlich für einen Riesen entworfen wurde, schnalle mir eine Schwimmweste um und klettere in das Speedboat.
Diese besonderen Boote wurden so weiterentwickelt, dass sie durch die Geschwindigkeit einen irren Auftrieb bekommen und wenige Zentimeter tiefe Flußarme durchqueren können. Wie es sich für die neuseeländischen Adrenalinjunkies gehört, findet das ganze natürlich bei einem Affenzahn statt.
Wir klammern uns an die (beheizten!) Haltegriffe als wir losdüsen und sich das Boot langsam aus dem Wasser hebt. Wir durchqueren unzählige kleine flache Nebenarme des Dart Rivers, die sich täglich ändern und fahren immer tiefer in das Herz des Mount Aspiring National Parks hinein.
Ich frage mich, wie man hier bloß seine Orientierung behalten soll, als ich die Landschaft bewundere. Genau in dieser Gegend wurden unzählige Szenen für die Herr-der-Ringe Filme gedreht. Isengard und Amon Hen (Berg des Auges) sind nur ein paar der „Orte“, die man hier entdecken kann.
Plötzlich hebt der Skipper als Warnsignal seine Hand und wenige Sekunden später reißt er das Lenkrad herum. Wir machen eine blitzschnelle 360° Drehung und bekommen eine kalte Dusche. Was für ein Spaß!
Weiter geht’s und ich bin froh, dass ich meine Sonnenbrille anhabe. Sie wird zwar etwas nass, aber wenigstens kann ich auf diese Weise bei der hohen Geschwindigkeit meine Augen offen halten und etwas von der Landschaft sehen. Andere Leute im Boot ziehen sich die Kapuzen tief ins Gesicht und kauern sich aneinander. Ob denen das zu viel Adrenalin ist? Oder sind sie bloß wasserscheu?
Ich lasse mir jedenfalls den frischen Wind um die Nase wehen und genieße die zahlreichen 360° Drehungen, die der Skipper bei jeder Gelegenheit einbaut. Dafür braucht er noch nicht einmal viel Platz oder tiefes Wasser und wir schießen haarscharf an Felsen und an Bäumen vorbei, die über das Wasser ragen. Ein paar Mal schrabbeln wir mit einem lauten Knirschen über Steine, doch unser Skipper lacht nur und meint, dass das normal sei. Die Boote müssen während der täglichen Fahrten einiges aushalten und werden deshalb nach zwei Jahren verschrottet.
Wir legen eine Pause ein und der Skipper erzählt Legenden über die Umgebung, die zum Te Wāhipounamu Gebiet gehört und damit zum Weltnaturerbe zählt. Der Name bedeutet so viel wie „Jadeort“. Da es sich bei dem Vorkommen um heilige Jade handelt, ist es nur den Maori erlaubt, hier danach zu suchen.
Wir fahren in eine kleine versteckte Bucht und bewundern das glasklare Wasser. Der Dart River wird von der Schneeschmelze der umliegenden Berge gespeist. Nach ein paar Minuten merken wir, dass wir zu lange stillgestanden haben, denn die Sandflies fallen über uns her. Also machen wir uns auf den Rückweg, den Fluss entlang, um zu unserer nächsten Station zu gelangen.
Nach diesem adrenalinreichen Vormittag steht zunächst ein 30 minütiger Waldspaziergang an.
Es handelt sich allerdings nicht um irgendeinen beliebigen Wald, sondern um den 80 Millionen Jahre alten Red Beech Forest. Er stellte in den Herr-der-Ringe Filmen den „goldenen Wald“, also das Elbenreich Lorién dar. Das Licht fällt schräg auf die uralten moosbedeckten Bäume und manche Äste sind so verformt, dass sie aussehen wie kleine Gnome. Die Zeit scheint stillzustehen.
Nach ein paar Minuten treffen wir auf ein geniales Highlight: Die Filmcrew hat der Stadt Glenorchy ein paar Requisiten geschenkt. Der gigantische Holzstuhl verwandelt mich innerhalb von Sekunden in einen Hobbit.
Einer der gigantischen Bäume ist innen drin komplett hohl und ich klettere kurz hinein. Wie kann der Baum überhaupt überleben? Das wäre auf jeden Fall eine ideale Höhle, wenn man mal einen Unterschlupf sucht.
Besonders interessant sind die Legenden und Kuriositäten, die uns der Guide erzählt. Er zeigt uns einen kleinen Busch, der ganz besondere Blätter hat. Der „Mountain Horopito“, auch Pepperwood genannt, wurde von den Maori als Medizin eingesetzt, weshalb er in Neuseeland auch als „Maori Painkiller“ bekannt ist. Die Blätter kann man zerkauen, zu einer Paste anrühren oder einen Tee daraus machen und zu verschiedenen Zwecken verwenden: Zum Betäuben bei Zahnschmerzen, zum Reinigen von Wunden oder auch zur Beruhigung bei Magenproblemen.
Neben der medizinischen Bedeutung haben die Blätter auch noch eine mystische: Sie wurden verbrannt, um böse Geister zu vertreiben und es wird erzählt, dass die Seelen, die sich auf den Weg nach Cape Reinga zum Eingang zur Unterwelt machen, Kleider aus diesen Blättern tragen.
Vorsichtig knabbere ich eine Ecke eines Blattes an und registriere sofort die scharfe pfefferige Note, die wie eine Mischung aus Wasabi, Pfefferminz und Zimt schmeckt. Nach wenigen Minuten setzt die Wirkung so richtig ein. Meine Zunge brennt wie Feuer und wird taub. Laut meinem Guide verschwindet diese Wirkung spätestens nach einer halben Stunde und ich stecke mir ein paar Blätter als Proviant für die lange und kurvenreiche Rückfahrt ein. Man kann ja nie wissen…
Der Ausflug ist aber noch nicht zu Ende. Mit einem Backroad-Minivan fahren wir am Flußbett entlang, bis wir beim Paradise Valley ankommen. Hollywood scheint sich in dieses Tal verliebt zu haben, denn es wurden hier nicht nur Teile der Herr-der-Ringe und Hobbit Filme gedreht, sondern auch Wolverine, die Narnia Filme und die Avatar-Fortsetzungen. Außerdem wird das Tal gerne für den Dreh von Werbespots genutzt (z.B. von Milka). Im Laufe der Jahre mussten die umliegenden Berge auf diese Weise schon als die Schweizer Alpen, die Rocky Mountains, die Pakistanische Grenze, Japan oder eben Mittelerde herhalten.
Da die Landschaft zum Weltnaturerbe gehört, darf immer nur 12 Wochen am Stück gefilmt werden und nach dem Dreh muss alles haargenau so aussehen, wie vorher. Für den Film „Der Hobbit: Smaugs Einöde“ bedeutete das besondere Schwierigkeiten. Auf der hügeligen Wiese vor dem Wald (mit dem „Nebelgebirge“ im Hintergrund) wurde neun Wochen lang das Haus des „Pelzwechslers“ Beorn, der sich in einen Bären verwandeln kann, gebaut. Doch dann hörte es einfach nicht mehr auf zu schütten und da man nur noch wenige Drehwochen übrig hatte, bevor alles wieder abgerissen werden musste, musste im Regen gedreht werden. Aus Beorns Haus stammt übrigens auch der Stuhl, den ich mir im Red Beech Forest angesehen habe.
Ich kann den Farmer, dem diese Wiesenflächen gehören eigentlich nur beglückwünschen, denn die Miete der Fläche beträgt pro Tag 800$. Das mag für einen Filmdreh vielleicht nicht nach besonders viel klingen, aber für den ersten Hobbit Film wurde in dieser Gegend ganze vier Monate lang gefilmt. Der Farmer bekommt also für’s Nichtstun Geld und muss sich noch nicht einmal um die Instandhaltung kümmern, weil die Filmcrews die Flächen nach dem Dreh wieder herrichten müssen.
Ich betrachte die umliegenden Wiesen und kann mir einfach nicht vorstellen, dass während der Drehs der Herr-der-Ringe Filme 12.000 Menschen am Set waren und diese kleine Fläche bevölkert haben. Besonders lustig ist eigentlich die Tatsache, dass Queenstown zu dem Zeitpunkt fast völlig ausgestorben war.
Die Filmcrew brauchte viele Statisten und die Menschen in Queenstown haben natürlich lieber an einem Filmset gearbeitet als in Restaurants oder am Empfang von Hotels. Für Glenorchy ist das Paradise Valley also ein Segen und für Queenstown ein kleiner Fluch! Aber wer nicht verstehen kann, warum diese Gegend zu Hollywoods Lieblingsort wurde, der muss einfach blind sein.
Und ich double Esspresso. :-)
Haha ich bin die Irish Coffee-Eule :D