Es gibt ihn, den perfekten Abflugort in Neuseeland, denn – so fies es auch klingen mag – Christchurch ist die hässlichste Stadt Neuseelands. Die Stadt kann eigentlich nichts dafür: Sie gilt wegen ihrer Architektur als die „englischste“ Stadt Neuseelands, doch das Katastrophen-Erdbeben am 22. Februar 2011 hat der Stadt ihre Schönheit geraubt.
Weil der Erdbebenherd sehr nah an Christchurch und in geringer Tiefe lag, wurden der alte Stadtkern und die gesamte Innenstadt fast komplett zerstört. Etliche Gebäude stürzten ein und allein beim Einsturz des regionalen Fernsehsenders Canterbury Television starben 115 Menschen.
Die Innenstadt wurde nach der Evakuierung mit hohen Drahtzäunen abgeriegelt und Red Zone genannt. Kurz nach dem Beben wurde geschätzt, dass bis zu 10.000 Wohnhäuser abgerissen werden müssen und etwa 100.000 weitere reparaturbedürftig sind.
Als ich diese Zahlen höre, wird mir schnell klar, warum die Stadt drei Jahre nach dem Beben noch nicht wieder die alte ist. Das Hauptproblem ist hierbei nicht die Motivation der Einwohner, die wirklich alles machen, um ihre Stadt wieder herauszuputzen, sondern die Versicherungsunternehmen, die einfach behaupten, dass diverse Schäden nicht durch das Erdbeben entstanden sind.
Sie bezahlen die Versicherungssummen nicht und dadurch werden die Bauarbeiten stark verzögert und überall in der Stadt sieht man kaputte Gebäude und brachliegende Bauflächen. Es wird geschätzt, dass der Wiederaufbau insgesamt 30 Jahre dauern wird.
Im Rahmen der Aufräumarbeiten konnte die Red Zone seit 2011 trotzdem langsam verkleinert werden und nach und nach wurden einzelne Gebiete wieder zugänglich gemacht. Jetzt besteht die Sperrzone nur noch aus der Ruine der Kathedrale.
Die anglikanische Christ Church Cathedral von 1881, die eigentlich das Wahrzeichen der Stadt war, ist das auffälligste Opfer des Bebens. Wenn man sich von der rechten Seite nähert, kann man den alten Glanz der Kathedrale erahnen, doch nur wenige Meter weiter erkennt man das Ausmaß der Zerstörung durch das Erdbeben.
Die Kathedrale wurde so stark beschädigt, dass sogar der Abriss beschlossen wurde. Doch seitdem kämpfen die Einwohner Christchurchs um ihren Erhalt und den Wiederaufbau.
Die meisten Hotels und Hostels wurden zerstört
Die Erdbeben-Katastrophe wirkt sich immer noch stark auf den Tourismus aus: Mehr als drei Viertel der Hotelzimmer gingen verloren und alltägliche Dinge wie Supermärkte fehlen im Stadtkern.
Ich bekomme das bei meiner Ankunft in Christchurch sehr schnell zu spüren, denn die provisorische Intercity Bushaltestelle liegt glatte zwei Kilometer vom nächstgelegenen Hostel entfernt. Um die Uhrzeit fährt natürlich noch kein Bus, also mache ich mich auf einen langen Fußmarsch, während mein Rucksack und mein Beutel mit Essensvorräten immer schwerer zu werden scheinen.
Unterwegs komme ich an einsturzgefährdeten Hostels vorbei, die von Pflanzen überwuchert werden. Ich bin schockiert vom Ausmaß der Zerstörungen und fühle mich fast wie in einem surrealen Weltuntergangsfilm: Noch nicht beseitigte Ruinen wohin ich auch schaue, enorm viele freie Flächen, wo einst Häuser standen, Schilder, die an beschädigten Hauswänden vor Gefahren warnen. Der Wind wirbelt Staub von riesigen Schutthalden auf und ich komme an komplett gesperrten Straßen vorbei, die von Kränen, Baggern und Räumfahrzeugen flankiert werden.
Es ist allerdings nicht nur der Verlust von historischen Gebäuden und wunderschöner Architektur, der Christchurch nicht sonderlich attraktiv für Touristen macht, sondern auch die Tatsache, dass der Alltag durch die fehlende Infrastruktur erschwert wird. Um den nächsten Supermarkt zu erreichen, muss ich 1,5 Kilometer durch ein Industriegebiet laufen und fluche innerlich, dass ich auf dieser Reise keinen Mietwagen habe.
Katastrophen-Tourismus vs. Shopping in Schiffscontainern
Christchurch ist definitiv nicht mehr das beliebteste Touristenziel Neuseelands, aber die Stadt ist immer noch ein idealer Ausflugsort (zum Beispiel zum Delfinparadies Kaikoura) und mit seinem großen Flughafen das „Tor zur Südinsel“. Viele Touristenattraktionen werden außerdem nach und nach wieder eröffnet.
Im alten Universitätsviertel befindet sich jetzt das sogenannte Arts Centre mit einem Kunsthandwerk-Markt und Kunstgalerien. Nach ein paar Minuten Fußweg erreicht man den botanischen Garten und den Hagley Park. Von dort aus kann man auf dem Avon River mit einem Stechkahn eine Bootstour durch den Park machen oder kostenlos das Canterbury Museum besuchen.
Besonders gut gefällt mir die restaurierte Straßenbahn, deren Geschichte bis ins Jahr 1880 zurückreicht. Die Fahrt ist mit 10$ nicht wirklich günstig, also beobachte ich die Straßenbahn lieber dabei, wie sie mitten in eine Shoppingmall hineinfährt. Das ist wahrscheinlich der einzige Ort, an dem Vorfahrtsschilder innerhalb eines Gebäudes notwendig sind.
Von der Shoppingmall aus erreiche ich die New Reagant Street, die mit ihren Fassaden und unzähligen Cafés einen ganz eigenen Charme versprüht.
Etwas morbide finde ich den Katastrophen-Tourismus, der hier in Christchurch zu sehen ist. Hier gibt es keine normale Stadtrundfahrt, sondern eine Bustour, die an den eingestürzten Gebäuden und kaputten Fassaden, die von den Touristen fleißig fotografiert werden, vorbeiführt.
Ich richte meine Aufmerksamkeit lieber auf das liebevoll gestaltete Projekt „Filling the gap“. Im ganzen Stadtgebiet sind künstlerische und farbenfrohe Tupfer zu finden, wie zum Beispiel eine überlebensgroße Sitzgruppe oder versteckte Minigolf-Anlagen.
Wandbemalungen sollen die frei gewordenen Hauswände schön dekorieren.
Im „Sound Garden“ darf man, auf dem Gelände einer ehemaligen Baustelle, mit zusammengebasteltem Bauschutt gehörigen Lärm machen.
Diese Kleinigkeiten sind es, die diese eigentlich zerstörte Stadt wieder liebenswert machen. Die Menschen hier in Christchurch lassen sich nicht demotivieren und denken sich – mit viel Kreativität, Improvisationstalent und dem Willen, die Stadt wieder lebenswert zu machen – tolle Projekte aus.
Ein Beispiel: Rund um die Kathedrale befanden sich früher die meisten Geschäfte und viele Restaurants, die allerdings zerstört wurden. Also wurden die Geschäfte kurzerhand in behelfsmäßigen Containern an der Cashel Street untergebracht.
Aus dieser Notlösung ist die „Re:Start Mall“ entstanden. Es ist eine einmalige Einkaufsstraße, denn unzählige farbige Schiffscontainer, teils aufeinandergestellt, ersetzen die geplanten Gebäude und ermöglichen den Geschäften ein Überleben, während alles wieder neu aufgebaut wird.
In den Containern sind neben vielen Geschäften auch Banken, ein Postamt und Cafés untergebracht. Rundherum sehe ich viele Blumen, Bäume, Straßenmusiker und Imbissstände und muss schmunzeln über diese kuriosen Neuseeländer, die sogar „Shopping in Containern“ zu einem schönen Erlebnis werden lassen.
Das ist schon ziemlich einzigartig.
Nach meinem Streifzug durch diese gebeutelte aber optimistische Stadt, kehre ich zurück zum Hostel und packe schon einmal meine Sachen, denn am nächsten Morgen bleibt dafür kaum Zeit, wenn ich mich auf den Weg nach Kambodscha mache.
Das ständige Reisen setzt mir zu, macht mich müde und kraftlos und dabei mag ich das Gefühl, heimatlos zu sein, aber eben nur in homöopathischen Dosierungen. Kann man zu viel reisen oder war dieser komprimierte Monat in Neuseeland einfach eine zu kurze und deshalb so anstrengende Zeit?! Am liebsten würde ich hierbleiben und das nicht nur, weil ich mich in die Landschaft verliebt habe, sondern auch, weil ich ein mulmiges Gefühl habe, wenn ich an Südostasien denke.
Ich schlafe ein mit dem Gedanken daran, dass ich jetzt all das erlebe, was ich mir immer gewünscht hatte und verstehe nicht, warum mich die Angst vor dem Unbekannten so unerwartet wieder küsst, als seien wir ein altes Liebespaar.