Wenn die Sinne (auf Reisen) lebendig werden

Lesezeit: 5 Minuten

Oder Momente in denen ich übers Glück stolperte

Während meiner Weltreise und allen folgenden Reisen ist mir immer wieder etwas wunderbar Seltsames passiert.

IMG_3170-001Zum Beispiel während einer Tuk-Tuk-Fahrt durch Kambodschas Hinterland, bei der mir der heiße Wind die Haare ins Gesicht wehte. Als ich in Neuseeland nach einem langen Hike mit müden Knochen in einem Helikopter saß und auf Gletschersäulen runter sah. Oder einfach nur als ich in Indonesien auf einem Hügel am Meer stand und die Sonne langsam hinterm Horizont verschwand.

Ich hatte ein undefinierbares Gefühl von Verbundenheit. Wie wenn das Herz anschwillt, bei einem guten Song, der einen wirklich berührt.  In diesen Augenblicken habe ich meine Sinne, meine Umgebung plötzlich unglaublich stark wahrgenommen. Als wenn ich unbemerkt unter Wasser geschwommen und dann auf einmal aufgetaucht wäre.  Jedes Geräusch hörte sich lauter an. Fast schon drängend. Als wenn meine Sinne Tag für Tag vor sich hindösen würden und schließlich unerwartet aufwachen. Lebendig werden…

Lauter Metaphern, die dieses Gefühl nicht wirklich einfangen können.

Als ich das vor ein paar Tagen hier in Köln noch einmal bewusst erlebt habe, habe ich versucht, es aufzuschreiben. Und ich habe erkannt, dass all diese Momente etwas gemeinsam hatten: Ich habe bewusst bemerkt, dass ich in genau diesem Augenblick gleichzeitig glücklich und zufrieden bin.

Eigentlich war dieser Text nicht für den Blog bestimmt, sondern nur für mich. Aber ich bin neugierig: Hattest du dieses Gefühl auch schon mal? Hast du auf einmal realisiert, dass du in genau einem Moment glücklich bist? Was hat das mit dir gemacht? War das an einem bestimmten Ort oder zu einem bestimmten Zeitpunkt einer Reise? Gab es einen bestimmten Auslöser dafür?

Aber lies erst selbst. Vielleicht verstehst du dann besser, was ich meine.

Diorama-Nächte

Es gibt so Tage – vielmehr Nächte – da sind alle Sinne lebendig.

Der Dom wird schüchtern beleuchtet und drängt sich vor den tiefschwarzen Hintergrund der Nacht. Ich halte kurz inne – dazu komme ich viel zu selten. In der Ferne wummern Bässe im Alten Wartesaal, während ein ICE über die Gleise zu schweben scheint. Ich frage mich, ob die Menschen dort im Saal heute auch noch warten, wenn sie tanzen. Ohne dass sie es merken warten. So als kleine Pause, bevor das Leben weitergeht…losgeht?

img-20160816-wa0019Alle Sinne sind lebendig.

Es ist ungewöhnlich spät geworden. Für mich jedenfalls. Oder wirkt der Winter nur so müde auf mich? Die Kälte streift meine Nasenspitze und ich mache mich auf den Heimweg. Die Schritte federn. Sie sind lang. Ich komme gerade aus dem Kino. Leicht benommen von unzähligen Kurzfilmen. Na ja nicht unzählig, aber vielleicht sind Übertreibungen das Schmiermittel meiner losen Gedanken. Jeder Film hat einen neuen angestoßen und jetzt spiele ich mit ihnen wie mit Murmeln. Die Aspekte, die Musik, die guten und die schlechten Wendungen, die Atmosphären – sie alle wirken nach. Bilder vermischen sich auf meiner Netzhaut zu einem Spielfilm und der schnarchende Obdachlose in der Ecke ist mein Soundtrack. Bin ich die einzige, die ihn bemerkt? Wie viele Menschen habe ich schon mit meinen Augen gestreift, ohne sie zu sehen? Wie viele Menschen habe ich bereits zum letzten Mal in meinem Leben gesehen?

Alle Sinne sind lebendig.

Ich fühle mich existent – so verbunden und gleichzeitig distanziert von mir selbst. Als stünde ich auf einem Diorama. Ein immersives Bild meiner Selbst. Ich beobachte meine kreisenden Gedanken. Versucht mir mein Gehirn zu beweisen, dass ich künstlerisch, ja vielleicht ein bisschen poetisch sein kann? Ich muss über mich selber lächeln. Vielleicht schreibe ich das später auf, um mich an dieses Gefühl zu erinnern.

Alle Sinne sind lebendig.

Mein Körper läuft schwungvoll die Betontreppen runter. Nur ein paar Schritte, aber ein fortlaufendes Zusammenspiel von so vielen Muskeln und Sehnen und unbewussten Impulsen. Es ist fast schon unlogisch, dass ich nicht falle. Die Rolltreppe zur U-Bahn wirkt statisch dagegen und ich wundere mich über diese Erfindung, die einst eine erstaunliche Neuheit gewesen sein muss:

„Hast du schon gehört? Es gibt jetzt sogar Treppen, die bewegen sich von ganz alleine!“
„Nee red‘ keinen Blödsinn. Wie soll das denn gehen? Da wird einem doch schwindelig!“

Unten angekommen verschluckt sich die Treppe und stürzt auf der anderen Seite in die Höhe. Klonk. Ich muss wieder selber dafür sorgen, dass sich die Welt unter meinen Füßen dreht.

Alle Sinne sind lebendig.

Ich lehne direkt neben dem Fahrkartenautomaten, der laut vor sich hinrattert, wie ein alter Mann, der zu sich selber spricht. Vielleicht ist Einsamkeit nicht immer leise, denke ich und betrachte die Menschen um mich herum, die sich aneinander vorbeisehnen. Die Bahn fährt langsam an und macht dabei ein schwermütiges Geräusch, während uns der Tunnel verschluckt.

Alle Sinne sind lebendig.

Ich laufe quer über den noch geschlossenen Weihnachtsmarkt. Er ist dunkel. Ein kleiner Geistermarkt. Ich kann seine aufgeregte Erwartung spüren. Lichterkettensterne tanzen in den Bäumen rundherum und warten auf die Eröffnung. Ich denke ans vergangene Jahr. Lassen eigentlich die zufriedenen Rote-Winterwangen-Menschenmassen die Lichter heller leuchten oder ist der Glühwein schuld daran?

Alle Sinne sind lebendig.

„SOFORT“ Mein Bus hat ein anderes Zeitgefühl und biegt verstohlen um die Ecke. Dazwischen liegen diese merkwürdigen Limbo-Minuten, in denen niemand weiß, ob der Bus gerade da war und die Anzeige bloß unaufmerksam ist – oder ob er noch kommt.

Die Tür öffnet sich genau vor mir, wie eine einladende Geste. Ich folge ihr. Meine Augen entspannen sich, der Fokus verschwimmt und ich lasse die Lichter der Stadt an mir vorbeiziehen. Ein weicher Schleier.

img-20160816-wa0004Plötzlich geht das Gebläse aus und die neue Stille dröhnt in meinen Ohren. Warum ist sie sonst nie so laut? Ein Mann flüstert einer Frau ganz nah ins Ohr. Sie lächelt. Ich steige aus. Fast hätte ich es vergessen, denn ich bin von meinen fragmentierten Gedanken betrunken. Ich laufe abwesend an Fassaden vorbei, doch meine Füße kennen den Weg. Mein Schlüssel findet das Schloss.

Alle Sinne sind lebendig.

Ich setze mich, starre auf ein leeres Blatt Papier. Streiche es glatt. Kann man Erinnerungen aufschreiben, ohne dabei die Essenz zu verlieren? Oder zerrt man bloß einen Schatten wieder in die Gegenwart, bei dem verzweifelten Versuch die Eindrücke zu konservieren?

Ach vielleicht morgen.

Alle Sinne sind müde.

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