Der Ort, an dem man zum Gott wird

Lesezeit: 4 Minuten

IMG_0459Einen Aztekentempel zu besuchen ist eine Sache, die definitiv auf meiner Reisetraumwunschliste steht. In Mexiko habe ich die Chance, die Ruinen eines sogar weitaus älteren und mysteriöseren Volks  zu besichtigen: Teotihuacán.
Diese Ruinenstadt beherbergt gewaltige Pyramiden, die lange Zeit für Berge gehalten wurden, bevor sie ausgegraben wurden. Die Stadt liegt etwa 50 Kilometer nordöstlich von Mexiko City und war die beherrschende Kultur der „klassischen“ Periode und der eigentliche Vorgänger des Aztekenreiches. Dort wohnten circa 300.000 Menschen, deren Einfluss sich über das ganze Land bis in das Gebiet der Maya auf der Halbinsel Yukatan und nach Guatemala erstreckte. Zwischen 100 und 650 nach Christus war die Stadt das dominierende kulturelle, wirtschaftliche und militärische Zentrum Mesomerikas und mit Abstand die größte Stadt auf dem amerikanischen Kontinent und eine der größten der Welt.

IMG_0443Die verblüfften Azteken

Die Azteken fanden Teotihuacán bei ihrer Einwanderung bereits als Ruinenstadt vor, die seit Jahrhunderten verlassen war. Sie sahen in ihr einen mythischen Ort und gaben ihr den Namen Teotihuacán, der so viel bedeutet wie „Wo man zu einem Gott wird“.
Die Tatsache, dass selbst die Azteken  –  ein für seine Zeit sehr fortgeschrittenes Volk – diese Ruinenstadt als außergewöhnlich und fast schon außerirdisch verehrten, hat mich ziemlich beeindruckt. Leider wissen Archäologen viel zu wenig über dieses uralte Volk der Teotihuacáner. Wenn man sich allerdings die vielen und vor allem steilen Stufen der Pyramiden hochquält (Waren die Menschen früher nicht eigentlich sehr viel kleiner als wir? Wie sind die bitteschön da hochgekommen, ohne auf allen Vieren krabbeln zu müssen?!!) dann wird einem die Bedeutung und Größe dieses Volks bewusst.

IMG_0457Die Stadtanlage
Um 200 v. Chr. erhielt die Stadt ihre wichtigsten Merkmale: Die gewaltige Pyramide der Sonne, die Pyramide des Mondes sowie die Calzada de los Muertos (Straße der Toten).
Für die Errichtung der 70 Meter hohen Sonnenpyramide wurden zweieinhalb Millionen Tonnen Steine bewegt –  ohne Radwagen, Lasttiere oder Metallwerkzeug. Die Ausdehnung der Stadt umfasst 23 Quadratkilometer, wovon allein das Zeremonialzentrum vier Quadratkilometer einnimmt und beherbergte 75 Tempel und ca. 600 Werkstätten.

IMG_0540Der Masterplan
Die ausgereifte Planung der Stadtanlage und der großen Bauten lassen auf einen hohen Grad an mathematischen und astronomischen Kenntnissen schließen. Teotihuacán wurde als ein Modell des Universums gebaut und soll laut Legende auch der Ort sein, an dem das Universum entstand. Der Masterplan der Teotihuacáner war es, die am besten geplante und einflussreichste Stadt seiner Zeit zu erbauen. Teotihuacáns Kontrolle über einige Obsidian-Minen trug zur Macht der Stadt bei. Es wurden viele Produkte aus diesem Material hergestellt und exportiert. Ein zweites  Standbein war der Verkauf von dünner orangener Keramik. Die Größe der Stadt, der florierende Handel und die religiöse Bedeutung (dank der Pyramiden und der religiösen Zeremonien) zogen viele weitere Menschen an und bescherten Teotihuacán immensen Reichtum.

Der ideale Mann
Selbst vor Tausenden Jahren hegten Menschen bereits Schönheitsideale. Vor allem in den Masken wird das damalige ästhetische Bild der Menschen deutlich: Die Masken waren relativ breit und zeigten eine große Stirn. Skulpturen wurden außerdem ohne Hals dargestellt.
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Religion
Mir war vor meinem Besuch Teotihuacáns überhaupt nicht bewusst, dass dort Menschen geopfert wurden. Religion und religiöse Zeremonien spielten zu der damaligen Zeit eine zentrale Rolle.  Es herrschte geradezu ein richtiger Todeskult! Knochenfunde an den Kanten der Sonnenpyramide beweisen, dass den „Sturmgott“ Kinder geopfert wurden. Besonders morbide an der Sache ist, dass die Kinder zunächst die drei Kilometer lange Straße der Toten entlanggeführt wurden und dann die Sonnenpyramide besteigen mussten, bevor sie getötet wurden!

Der Aufstieg
Während ich in der prallen Sonne die steile Sonnenpyramide hochkraxele, denke ich über diese Opferrituale nach. Es dauert wirklich sehr lange, bis ich an der Spitze ankomme, also hatten die damaligen Opfer wahrscheinlich mehr als genug Zeit zum Nachdenken. Möglicherweise hatten sie die Chance, sich innerlich auf den bevorstehenden Tod vorzubereiten. Oder sie haben verzweifelt überlegt, wie sie entkommen könnten.
Als ich oben an der Pyramidenspitze ankomme, geschieht etwas Merkwürdiges. Die ganze Anstrengung des Aufstiegs fällt von mir ab. Ich atme tief ein und fühle mich wie eine Batterie die glücklich an einer Steckdose klebt und endlich aufgeladen wird. Von diesem Ort geht eine unglaubliche Kraft aus. Haben sich so die Menschen gefühlt, bevor sie geopfert wurden? Sind sie vielleicht in dem Glauben gestorben, dass ihr Tod zu etwas Größerem beiträgt?

Als ich mir abends am Laptop meine Fotos anschaue läuft mir ein kalter Schauer den Rücken herunter. Teotihuacán scheint wirklich an einem energetischen Punkt zu stehen: Alle Wolken streben der Pyramidenspitze entgegen!! Sieh selbst:

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8 Kommentare

  1. Sehr schön und vor allem historisch richtig beschrieben.

    Ich hab ja schon in anderen Blogs gelesen, dass Teotihuacan von den Azteken oder gar von den Mayas stammt (sic!)

    • Danke! Ja, der Irrglaube ist anscheinend weit verbreitet. Bevor ich hingereist bin habe ich das auch überall gelesen und wusste gar nicht, dass es dort ein noch älteres Volk gab, das schon so erstaunlich weit entwickelt war.

  2. Hallo Lisa,

    vor zwei Tagen ist nach langer Reise auch bei mir
    Deine Postkarte angekommmen, vielen Dank!

  3. Doris Brinkmann

    Deine Postkarten sind angekommen…..schön……Danke! :-)

  4. Hallo liebe Lisa!
    Deine Reiseberichte sind wirklich sehr spannend! Am liebsten würde ich hinterherfliegen und mich in dein backpack schmuggeln ;-)
    Heute habe ich ein kleines highlight in meinem Briefkasten gefunden, vielen Dank dir!!!!!!! Hab mich riesig gefreut!
    Ich wünsche dir weiterhin viele tolle Eindrücke, toll Erlebnisse und viel Spaß!
    LG aus Bonn, Inga

    • Das freut mich sehr! :-) Mein Backpack platzt leider aus allen Nähten; das wird also etwas schwierig….aber hinterherfliegen könntest du. Ich bin noch ein paar Tage beim Franz Josef Glacier, du könntest es also noch schaffen. ;-)
      Juhuu super! Die hat aber ganz schön lange gebraucht.
      Dankeschön! Ich freue mich schon total darauf, über Neuseeland zu bloggen. Ich habe hier so unglaublich tolle Sachen gesehen und erlebt!!! In Gedanken plane ich schon meine nächste Reise hierhin!
      Liebe Grüße von der Südinsel,
      Lisa

  5. Doris Brinkmann

    Stimmt, sieht wirklich so aus und da ist bestimmt auch etwas Wahres daran!
    Wofür hast du eigentlich Akkus mitgenommen? ;-)

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